Dr. Jens Brandenburg

Focus-Gastbeitrag: "Der Bildungskrise gemeinsam die Stirn bieten!"

Für Focus Online habe ich einen Gastbeitrag zum Thema „Der Bildungskrise gemeinsam die Stirn bieten: Machen wir Schüler und Studierende zu Lern-Buddys!“ geschrieben. Sie finden ihn im Original hier.

Der Bildungskrise gemeinsam die Stirn bieten: Machen wir Schüler und Studierende zu Lern-Buddys!

Die Corona-Krise ist für viele Schülerinnen und Schüler eine große Herausforderung – nicht nur durch das Home-Schooling, sondern auch durch soziale Isolation und gesundheitliche wie finanzielle Sorgen in der Familie. Die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hat gezeigt, dass jedes dritte Kind durch die Corona-Pandemie und den Lockdown psychisch belastet ist. Besonders stark betroffen sind Kinder aus finanziell benachteiligten Elternhäusern. Sie müssen sich den Lernstoff nun vorrangig eigenständig erarbeiten und können sich nur eingeschränkt mit Lehrkräften und ihren Klassenkameraden austauschen. Ein eigenes Zimmer, ein Computer, schnelles Internet und Eltern, die täglich auf die Lernzeiten achten, sind keine Selbstverständlichkeit. Schon jetzt haben viele Schülerinnen und Schülern im Distanzunterricht den Anschluss verloren.

Die Bundesbildungsministerin hat in den vergangenen Wochen mehrfach angekündigt, ein Programm zur Aufholung des verpassten Lernstoffes auf den Weg zu bringen. Wie immer macht sie vage Versprechen und vertagt konkrete Maßnahmen in die Zukunft. Die Wissenslücken werden aber jeden Tag größer. Mit ein paar Stiftungsprojekten im nächsten Schuljahr, wie es ihr offenbar vorschwebt, wird Frau Karliczek diese Aufgabe nicht meistern. Es braucht jetzt schnell ein schlagkräftiges Aufholprogramm, um die großen Lernrückstände des Lockdowns zu schließen.

Dabei könnte die Ministerin zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn auch eine andere Gruppe junger Menschen wartet seit langem vergeblich auf eine verlässliche Krisenunterstützung. Hunderttausende Studierende haben im Lockdown ihren Nebenjob verloren. Viele von ihnen jobbten in der Gastronomie, dem Einzelhandel oder der Veranstaltungsbranche, um ihr Studium zu finanzieren. Schon längst hätte das BAföG, das seit Jahren immer weniger Studierende erreicht, zu einer elternunabhängigen Förderung reformiert werden müssen. Die viel zu späte und bürokratische Mini-Überbrückungshilfe der Bundesregierung hat die Not bisher kaum gelindert.

Warum holen wir sie nicht an die Schulen und machen sie zu unterstützenden Lern-Buddys für Schülerinnen und Schüler? Wenn Medizinstudierende beim Impfen aushelfen, können doch auch Lehramts- und Fachstudierende der Bildung unter die Arme greifen. Nicht nur Lehramtsstudierende wären eine Unterstützung für benachteiligte Schülerinnen und Schüler. Die Anglistik-Studentin kann helfen, die mündliche Prüfung in Englisch vorzubereiten. Der Biologie-Student erklärt nicht nur den Aufbau der Zelle ein weiteres Mal, sondern auch begeistert, wie der Körper die Corona-Impfung verarbeitet. Und die Politik-Studentin wiederholt am Beispiel des DigitalPakts Schule, wie eine Grundgesetzänderung zustande kommt. Auch Lehrkräfte könnten von digitalaffinen Unterrichtshelferinnen und -helfern profitieren, die sie beim Erstellen digitaler Unterrichtmaterialien und Selbstlernangebote unterstützen und einen Unterricht in Teilgruppen ermöglichen.

Als Buddys könnten sich so verschiedene Generationen unterstützen – und alle würden profitieren: Schülerinnen und Schüler, weil sie in einer individuelleren Betreuung verpassten Stoff aufholen und vertiefen. Studierende, weil sie Praxiserfahrung sammeln, der sozialen Isolation entkommen und finanziell wieder selbstständiger werden. Lehrkräfte, weil sie in der Krise pragmatische Unterstützung erhalten. Und die Eltern, weil sie nach Monaten des kräftezehrenden Homeschoolings eine Perspektive für ihre Kinder erhalten.

Die Bundesregierung darf nicht nur Versprechungen machen. Sie muss jetzt schnell und unkompliziert dafür sorgen, dass aus der Corona-Krise keine anhaltende Bildungskrise wird. Dafür muss sie aber willens sein, Geld in die Hand nehmen. Die Studierenden sollten mit mindestens 10 Euro pro Unterrichtsstunde entlohnt werden. Auch die Anrechung von Leistungspunkten für das Lehramtsstudium soll möglich sein. Schulen sollten das Geld unbürokratisch einsetzen können und beispielsweise Kooperationen mit bestehenden Initiativen und Nachhilfeinstituten ausbauen.

Mit einer Milliarde Euro könnte die Bundesregierung ein eineinhalbjähriges Lern-Buddy-Programm auflegen mit etwa 170.000 Lern-Buddys auf den Weg bringen. Angesichts der milliardenschweren Folgekosten des Lockdowns wäre das jede Mühe wert. Abwarten ist keine Lösung, Corona darf nicht zur dauerhaften Bildungskrise werden. Dem Antrag der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag sollte die Bundesregierung folgen, um schon in den kommenden Wochen Studierende als Lern-Buddys in die Schulen schicken.